Filmscreening und Gespräch zum ersten Auschwitz-Prozess
Zwischen historischer Aufarbeitung und juristischer Verantwortung


Projekt

Vor 60 Jahren wurden die Urteile im ersten Auschwitz-Prozess gesprochen. Aus diesem Anlass luden die Alfred Landecker Foundation und die Hans und Berthold Finkelstein Stiftung am 13. November 2025 zu einer Aufführung von Ausschnitten aus dem Film „Die Ermittlung“ ins Delphi Kino Berlin ein. Im Anschluss wurden diese in einem Gespräch mit Expertinnen und Experten eingeordnet und diskutiert.

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Der Film „Die Ermittlung“ basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück von Peter Weiss, das im Jahr 1965 erschien, und behandelt den ersten Auschwitz-Prozess, der 1963 in Frankfurt am Main begann und im August 1965 endete. Die Verhandlungen prägten die Debatte über die deutsche Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit nachhaltig. Auf Initiative des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer brach der Prozess das weit verbreitete öffentliche Schweigen über die NS-Verbrechen und zielte darauf ab, die Täterinnen und Täter juristisch zur Verantwortung zu ziehen. Im Zentrum von Film und Theaterstück stehen die Fragen, wie die Vernichtung in Auschwitz organisiert war und welche Verantwortung die Angeklagten trugen.

Bei der Aufführung der Filmausschnitte am 13. November im Delphi Kino ordnete Dr. Andrea Rudorff, Historikerin am Fritz Bauer Institut, die Filmausschnitte historisch ein. Im Anschluss führte Annemarie Hühne-Ramm, Geschäftsführerin der Hans und Berthold Finkelstein Stiftung, ein Gespräch mit dem Rechtshistoriker Prof. Dr. Georg Steinberg und dem Richter Jonathan Schramm. Dabei diskutierten sie, wie das nationalsozialistische Unrecht juristisch aufgearbeitet wurde, und gingen der Frage nach, welche Lehren sich aus rechtswissenschaftlicher Sicht daraus für die Gegenwart ziehen lassen.

Die Komplexität von Auschwitz: Gegen verkürzte Wahrnehmungen

In ihrer historischen Einordnung warnte Dr. Andrea Rudorff vor der verkürzten Darstellung der Geschichte des Konzentrationslagers Auschwitz. Die Gefahr sei dabei, dass komprimierte Darstellungen den Eindruck erweckten, man habe alles schon gehört und gesehen. Tatsächlich sei die Geschichte von Auschwitz deutlich komplexer und vielschichtiger als die im kollektiven Gedächtnis präsenten Aspekte vermuten lassen. Dr. Rudorff lud daher dazu ein, sich mit den Details und den unterschiedlichen Gegebenheiten zu beschäftigen, beispielsweise anhand der Tonbandaufnahmen zum Auschwitz-Prozess, die auch online zugänglich sind, oder der Originalakten des Prozesses, die Einblick in die Lagergeschichte ermöglichen.

Die juristische Aufarbeitung und ihre Mängel

Im an die Filmausschnitte anschließenden Gespräch zwischen Annemarie Hühne-Ramm, dem Rechtshistoriker Prof. Dr. Georg Steinberg und dem Richter Jonathan Schramm wurde deutlich, warum die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen scheiterte. Die Richter folgten der damals üblich gewordenen Rechtsauslegung, dass jedem Einzelnen konkrete Taten im Lager nachgewiesen werden mussten. Das war in einigen Fällen aufgrund fehlender Beweise gar nicht möglich. So kam es für die etwa 20 Angeklagten zu vergleichsweise geringen Strafen und auch zu drei Freisprüchen. Juristisch bildete der Auschwitz-Prozess somit weder eine Zäsur noch eine dogmatische Wende. Die Auffassung von Fritz Bauer, wonach alle in Auschwitz tätigen Personen beteiligt und strafbar gewesen seien, setzte sich in der Rechtsprechung nicht durch.

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Juristische Ausbildung heute: Technik statt Reflexion?

Während des Auschwitz-Prozesses war die üblich gewordene Rechtauslegung, dass zum Beispiel Mitglieder von Einsatzgruppen oder KZ-Mannschaften nur als Befehlsempfänger von Führungspersonen agierten. Nach dieser Logik wurden selbst hochrangige SS-Offiziere für Mordtaten als bloße Gehilfen bestraft. Das entsprach nicht der Rechtsauffassung von Fritz Bauer, der immer wieder betont hatte, dass alle, die in Lagern wie Auschwitz tätig gewesen waren, an den dortigen Morden beteiligt waren und dafür bestraft werden müssen. Es wurde oft angenommen, dass die Bestimmungen des deutschen Strafgesetzbuches den Tatnachweis erforderten, aber inzwischen ist gut herausgearbeitet worden, dass das nicht zwingend so war. Schon in den 1950er Jahren gab es Urteile, ebenfalls auf Grundlage des deutschen Strafgesetzbuches, die das Geschehen in Vernichtungslagern als Gesamtgeschehen interpretierten und jede Tätigkeit dort als Mordbeteiligung werteten. Seit den Urteilen gegen John Demjanjuk und Oskar Gröning in den 2010er Jahren hat sich diese Rechtsauslegung wieder durchgesetzt, ohne dass sich an der Rechtslage als solcher etwas geändert hätte. Richter Jonathan Schramm betonte, wie wichtig die Auseinandersetzung mit dieser Geschichte der Rechtsauslegung in der juristischen Ausbildung sei und berichtete, dass sie viel zu kurz komme.

Deshalb wurde das Projekt „Unrecht mit Recht? Ein Reader zu Nationalsozialismus und juristischer Ausbildung“ ins Leben gerufen. Der von der Alfred Landecker Foundation geförderte und vom Arbeitskreis Zeitgeschichte und Ausbildung des Forum Justizgeschichte e.V. umgesetzte Reader klärt Jura-Studierende über die Geschichte der Nutzung von Gesetzen für politische Ideologien auf. Wie Jonathan Schramm erläuterte, gilt es dabei, die Ambivalenz des rechtlichen Arguments und seine Wirkungsweise aufzuzeigen. Recht werde von vielen zunächst als etwas Gutes wahrgenommen. Historisch betrachtet seien die Begriffe „Recht“ oder „Jurist“ jedoch nicht immer mit dem Einsatz für Menschenrechte gleichzusetzen, da zunächst eine Abstraktion erfolgt. Am Beispiel der Wannsee-Konferenz machte Schramm deutlich, wie stundenlang abstrakt über rechtliche Begriffe gesprochen und die echten menschlichen Schicksale dahinter ausgeblendet wurden.

Abschließend mahnte Schramm: Die juristische Ausbildung sei sehr stark auf die Anwendung des Rechts ausgelegt und nicht auf dessen Hinterfragung. Es gebe zwar Rechtsvorschriften, "aber sei das wirklich die beste Art, etwas gesetzlich zu regeln? Wie könnte es anders und besser gemacht werden?" Dies müsse im Jurastudium eine zentralere Rolle spielen.

In ihrem Schlusswort appellierte Dr. Rudorff zudem an den Mut, aus der Reihe zu treten und „Nein“ zu sagen – auch in der heutigen Zeit. Die wenigsten Täterinnen und Täter seien damals für das Nichtausführen von Befehlen bestraft worden. Wer sich der Arbeit im Lager verweigerte, konnte sich an die Front versetzen lassen, einige Beispiele belegen auch, dass Menschen von Auschwitz in Zivilberufe zurück wechselten.

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