2 Jahre nach dem Anschlag: Welche Lehren ziehen wir aus Hanau?


Der rechtsterroristische Anschlag in Hanau jährt sich am 19.02.2022 zum zweiten Mal. Im Interview spricht unser Programmmanager Benjamin Fischer über die Erinnerung an das Attentat, die Kontinuitäten rechter Gewalt und was dagegen getan werden sollte.

Auch zwei Jahre nach dem Anschlag in Hanau beklagen Hinterbliebene, Überlebende und Initiativen systematisches Versagen der Behörden, schwerfällige Unterstützung und Hilfe und die fehlende Anerkennung von Versäumnissen in der Tatnacht und darüber hinaus. Sie alle können zwei Jahre später keinen Schlussstrich zum Attentat ziehen. Warum? Was fordern sie?

Auch zwei Jahre nach Hanau ist es vielen Hinterbliebenen weiterhin unmöglich, diese Schrecken zu verarbeiten. Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu und Said Nesar Hashemi wurden in einem rassistischen Anschlag, der über Jahre hinweg vorbereitet wurde, ermordet. Mit #SayTheirNames sollten diese Schicksale in den Vordergrund gerückt werden, nicht die Täterperspektive.

Wie konnte der Täter einen Waffenschein erhalten und trotz der dargelegten Radikalisierung seine Tat minutiös planen? Wie lässt sich das Verhalten einzelner Beamter am Tatort gegenüber Hinterbliebenen erklären? Warum ist der Zugang zu Unterstützung und Hilfe seit zwei Jahren so erschwert? Diese Fragen ergeben sich unter anderem aus dem laufenden Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag. Zeitgleich sorgt der Vater des Attentäters immer wieder für makabre Schlagzeilen.

Auch gerade weil es im Zuge der NSU-Morde und dem Anschlag in Halle ähnliche Berichte der Betroffenen gab, müssen wir uns ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, was wir gelernt haben – und was der Slogan #HanauIstÜberall tatsächlich bedeutet.

Die Anerkennung der Schwere des Angriffs ist also ein wichtiger Akt gegenüber allen Betroffenen und bringt eine nicht zu unterschätzende Strahlkraft mit sich. Die aktuelle Stunde des Bundestags „Zwei Jahre nach den rechtsterroristischen Morden von Hanau – Den Kampf gegen Rechtsextremismus und Hass entschieden weiterführen“ ist insofern auch ein wichtiges Zeichen unseres Parlaments.

Warum ist das Gedenken an Anschläge wie den von Hanau so wichtig?

In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau verweist die Bildungsinitiative Ferhat Unvar darauf, dass ein Lokalpolitiker nur sechs Monate nach der Tat davon sprach, Erinnerung „gehöre auf den Friedhof“. Aus der Forderung der Hinterbliebenen und Betroffenen, die Erinnerung an die Verstorbenen aufrechtzuerhalten, lese ich einen Auftrag an uns alle, und diesem sollten wir uns stellen. Auch der Wunsch, dass es mehr als symbolische Kranzniederlegungen einmal im Jahr brauche, wird dabei hervorgehoben. Viel wichtiger sei es, in Kontakt mit den Betroffenen zu sein und ihren Ansprüchen gerecht zu werden.

Das bedeutet, die nachhaltige Bekämpfung rechtsradikaler Strukturen durch klare und harte Sanktionierung und eine nachhaltige Auseinandersetzung mit dem -der Mehrheitsgesellschaft oft nicht bewussten- strukturellem Rassismus. Auch dürfen sich die Opfer nicht alleingelassen fühlen, sondern bedürfen einer andauernden Unterstützung.

Weil wir uns in der Alfred Landecker Foundation mit der jüngeren Vergangenheit aktiv auseinandersetzen, wissen wir, dass hier ein Gradmesser der Verfasstheit einer Gesellschaft besteht.

Ich erinnere mich gut an die Tage nach dem Anschlag in Halle. Kurz nachdem ich die Synagoge zu Jom Kippur verlassen und von der Tat erfahren hatte, lief ich zufällig in eine Solidaritätskundgebung. Diese wiederum wurde gerade gestoppt, weil jemand vor dem Protestzug den Hitlergruß gezeigt hatte. Selten habe ich mich so fehl am Platz gefühlt. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es nach dem Attentat in Hanau auch in vielen migrantischen Communities ähnliche Erfahrungen gegeben hat. Genau deshalb sind laute gesellschaftliche Bekenntnisse, Solidarität und das Gedenken über den Tag hinaus von hoher Bedeutung.

Beim genaueren Ansehen: Welchen roten Faden kann man erkennen, wenn man auf die Angriffe auf Minderheiten in Deutschland blickt? Welche Narrative der Betroffenen sind wiederkehrend und warum finden diese geringe Beachtung?

Die NSU-Morde, Halle und Hanau waren rechtsextreme Anschläge, zu denen es in den meisten Fällen Bekennerschreiben oder -videos gab, die sich oft auf vergleichbare Verschwörungsideologien stützten. Sie stehen damit in enger Verbindung zu Utøya, Pittsburgh und Christchurch. Das Narrativ des Einzelfalles in diesem Kontext kann ich deshalb nicht nachvollziehen. Nicht nur sind Rechtsextreme offensichtlich gut vernetzt, auch deuten diese Attacken auf ein größeres gesamtgesellschaftliches Problem hin.

In allen Fällen haben Betroffene von Geschehnissen berichtet, die darauf hinweisen, dass vor Ort die notwendige Sensibilität im Umgang mit Überlebenden und Angehörigen fehlte. Dass es Überlebenden enorm wichtig sein könnte, als Nebenklägerinnen und Nebenkläger aufzutreten, sollte hierbei auch nicht außer Acht gelassen werden. Die fehlende Anerkennung von solchen Versäumnissen, die erschwerte Einbindung von Betroffenenperspektiven und die Hilflosigkeit vieler – teils noch Jahre nach den Anschlägen – deuten darauf hin, dass z.B. auch gesetzlich nachgebessert werden sollte, wenn es um den Schutz von Betroffenen terroristischer Gewalt geht und damit auch, um den Schutz ihrer Bürger.

Was muss passieren, damit Minderheiten in Deutschland, abseits von Absichtserklärungen tatsächlich besseren Schutz erfahren?

Es ist wichtig, Betroffenenperspektiven ernst zu nehmen, Bedrohungen frühzeitig zu erkennen und Ängste zu berücksichtigen. Fragen der Repräsentanz in Strafverfolgungsbehörden, politischer Funktion oder Multiperspektivität in Lehrplänen sind ein erster Schritt. Der entschiedene Kampf gegen rechtsradikale Strukturen ein Muss. Eine Demokratie ohne funktionierenden Minderheitenschutz ist in ihren Grundfesten erschüttert und diese Erkenntnis treibt uns in unserer täglichen Arbeit an. Hier sehen wir also den Lackmustest einer modernen Demokratie und leiten daraus den Auftrag ab, auch im Alltag dann hinzuschauen, wenn man selbst nicht betroffen ist.

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