Als der französische Journalist und Dokumentarfilmer Claude Lanzmann im April 1985 seinen Film „Shoah” in Paris vorstellte, läutete er damit einen Wendepunkt in der Wahrnehmung des Holocaust ein. Es handelte sich um die erste Sammlung von Zeitzeugenberichten. Lanzmann und seine Mitarbeiterinnen Corinna Coulmas und Irena Steinfeldt-Levy hatten in den 1970er- und 1980er-Jahren mit zahlreichen Überlebenden, Tätern sowie Dritten gesprochen. Für Lanzmann war diese Arbeit eine Lebensaufgabe.
Anlässlich seines 100. Geburtstags zeigt das Jüdische Museum Berlin bis zum 12. April 2026 die Ausstellung „Claude Lanzmann. Die Aufzeichnungen“. Bei der feierlichen Eröffnung am 27. November um 19 Uhr sprachen Hetty Berg (Direktorin des Jüdischen Museums Berlin), Johann Wadephul (Bundesaußenminister), François Delattre (französischer Botschafter in Deutschland), Lena Altman (Co-CEO der Alfred Landecker Foundation), Dominique Lanzmann (Vorsitzende der Claude und Felix Lanzmann Association (A.C.F.L.)), sowie Tamar Lewinsky (Kuratorin der Ausstellung). Das umfangreiche Audio-Archiv des Dokumentarfilmers wird mit rund 220 Stunden bisher unveröffentlichter Tonaufnahmen aus der mehrjährigen Recherchephase von „Shoah” erstmals öffentlich zugänglich gemacht und bietet Einblicke in die Entstehungsgeschichte des Films.
Lena Altman, Co-CEO der Alfred Landecker Foundation sagt: „Das Audio-Archiv von Claude Lanzmann bewahrt einzigartige Zeugnisse des 20. Jahrhunderts – Stimmen von Überlebenden des Holocaust ebenso wie von Tätern. Es zeigt, was Erinnerung leisten kann, wenn sie das Grauen durch die Stimmen derer erfahrbar macht, die es erlitten, bezeugt oder auch verursacht haben. In einer Zeit, in der die letzten Zeitzeuginnen und Zeitzeugen verstummen und Antisemitismus wieder wächst, ermöglicht das Archiv den Zugang zu diesen Stimmen und hält ihre Geschichten im Bewusstsein kommender Generationen lebendig.“ Die ganze Rede gibt es hier zum Nachlesen.
„Es liegt mir sehr am Herzen, dieses wichtige Projekt zu unterstützen. Angesichts der beschämenden Zunahme des Antisemitismus und angesichts des Verlustes der letzten Zeitzeugen sind wir alle aufgefordert, die Erinnerung an die Schoa zu stärken und Räume zu schaffen, in denen Geschichte erlebt und reflektiert werden kann. Mit der Förderung der Vermittlungsarbeit zu Claude Lanzmanns Audio-Archiv möchten wir als Auswärtiges Amt zur Erhaltung und Weiterentwicklung unser Erinnerungskultur beitragen“, sagt Außenminister Dr. Johann Wadephul.
Geschichte hörbar machen
Anhand ausgewählter Originalaufnahmen können Interessierte den Recherchen Lanzmanns und seiner Mitarbeiterinnen folgen. Sie erfahren, wie sich die Menschen in den 1970er-Jahren an die Shoah erinnerten und wie sie versuchten, ihre Erfahrungen zu erklären und zu bewältigen. In sechs verschiedenen Hörbereichen werden unter anderem folgende Themen beleuchtet: Lanzmanns Methodik und Erfahrungen beim Führen der Gespräche, sein erster Besuch der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, die Auseinandersetzung der Täterinnen und Täter mit ihren Verbrechen sowie der Holocaust in Litauen.
Die Besucherinnen und Besucher können sich mit Kopfhörern frei durch den Raum bewegen und auf Monitoren die Übersetzung der in verschiedenen Sprachen geführten Gespräche verfolgen. Originaldokumente aus dem Privatarchiv von Claude Lanzmann, ein Videointerview mit seinen Mitarbeiterinnen sowie weitere Dokumente und Filmaufnahmen helfen dabei, die Aufnahmen einzuordnen.
- Laufzeit: 28. November 2025 bis 12. April 2026
- Ort: Jüdisches Museum Berlin, Eric F. Ross Galerie
- Eintritt: kostenfrei
- Öffnungszeiten: Täglich von 10 bis 18 Uhr
Mehr Informationen zur Ausstellung gibt es auf der Website des Jüdischen Museum Berlin.
Das Claude Lanzmann Audio-Archiv
In den Jahren 2021 und 2022 erhielt das Jüdische Museum Berlin insgesamt 152 Magnettonkassetten von der Association Claude et Félix Lanzmann (A.C.F.L.), die durch die Witwe des französischen Dokumentarfilmers, Dominique Lanzmann, vertreten wird. Neben Interviews mit Überlebenden und Täterinnen und Tätern sind Gespräche mit Schriftstellerinnen und Schriftstellern, Widerstandskämpferinnen und -kämpfern, Geistlichen, Intellektuellen, Politikerinnen und Politikern, deutschen Unternehmerinnen und Unternehmern, Historikerinnen und Historikern zu hören. Seit 2023 zählt das Archiv zusammen mit dem Film „Shoah“ zum UNESCO-Weltdokumentenerbe.
Nach Erhalt hat das Museum in Zusammenarbeit mit dem Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg (SSZ) und den Digitale Interview-Sammlungen der Freien Universität Berlin damit begonnen, die Tonaufnahmen zu digitalisieren.
Mehr Informationen zum Claude Lanzmann Audio-Archiv gibt es hier.