Benjamin Ferencz.
Ein Nachruf von Dan Diner


Am 7. April dieses Jahres ist der bedeutende internationale Jurist, Autor und menschenrechtliche Aktivist Benjamin B. Ferencz (1920-2023) in Florida verstorben. Die Alfred Landecker Foundation hat sich von ihren frühen Anfängen an in die von Ferencz begründete Tradition gestellt, wie sie auch Förderungen auf seinen Namen initiiert. Wir sind dem Erbe Benjamin B. Ferencz' auf das Engste verbunden und werden seinen Namen mit unserem Wirken zu ehren wissen.

„Benjamin B. Ferencz zählt zu jenen Juristen, Aktivisten und Sachwaltern einer kompensatorischen Gerechtigkeit, die angesichts des katastrophischen Geschehens des 20. Jahrhunderts entscheidend zur Ausbildung eines universellen Menschenrechtsregimes, der Institutionalisierung und Fortbildung einer internationalen Strafgerichtsbarkeit sowie der Durchsetzung einer exemplarischen Restitutionspraxis beigetragen haben. Dies gilt auch für Persönlichkeiten jüdischer Herkunft und Zugehörigkeit wie Hersch Lauterpacht, Raphael Lemkin oder Jacob Robinson, die von einer Existenzerfahrung geprägt waren, die biografisch auf die krisengeschüttelte Zwischenkriegszeit zurückweist und sich im nationalstaatlich zerklüfteten, nachimperialen mittel- und ostmitteleuropäischen Kulturraum abspielte.

Von letzterem Personenkreis unterscheidet sich Ferencz, trotz erheblicher gemeinsamer Schnittmengen an den zu bewältigenden rechtlichen Problemlagen, in mancherlei Hinsicht. Diese Differenz ist in erster Linie generationell bedingt. Der deutlich jüngere Ferencz, im rumänisch gewordenen Siebenbürgen zu Beginn der Zwischenkriegszeit geboren, wanderte schon als Kind mit seinen Eltern in die Vereinigten Staaten aus. Aufgewachsen in New York, erfolgte seine juristische Prägung durch die stark zivilrechtlich orientierte amerikanische Rechtstradition und ihre Verhandlungskultur. So ist er in seiner biografischen, vor allem professionellen Erfahrung vor allem Amerikaner, wenn auch einer, dem die europäischen Verhältnisse bestens vertraut wurden. Während die der oben erwähnten Gruppe zugehörigen jüdischen Juristen kontinental geprägt waren und dabei wesentlich von Fragen des individuellen wie kollektiven Rechtsschutzes in jener besonderen Konstellation der Zwischenkriegszeit ausgingen, war er mit den durch die nachfolgende Katastrophe aufgeworfenen rechtspolitischen und den sie begleitenden Verfahrensfragen befasst. So war er weniger mit der Abwendung von, denn mit der Bewältigung bereits erfolgter Staatsverbrechen konfrontiert. Prägend für sein Wirken war seine Tätigkeit als junger Ankläger, gerade siebenundzwanzig Jahre alt, in einem Nürnberger Nachfolgeverfahren, dem Einsatzgruppenprozess.

Werk und Wirken von Ferencz bilden ein Monument der juristischen Aufarbeitung der Konkursmasse des Zweiten Weltkriegs und der in seinem Schatten verübten Massenverbrechen. Sein Name steht für die großen Fragen von Retribution, Restitution und Kompensation in der Nachkriegszeit ebenso wie für die Etablierung einer neuen Rechtskultur und einer ihr verpflichteten, internationalen Moral.

In Werk und Wirken von Ferencz sticht eine weitere Besonderheit hervor: die sich in seiner Person realisierende Verknüpfung von partikularer Anspruchserhebung mit einer universellen Präventionskultur. Als partikular ist die von Ferencz über eine lange Dauer leitend betriebene Restitutionspraxis hinsichtlich des hinterlassenen jüdischen Eigentums, vornehmlich in Deutschland. So wurde Ferencz zum herausragenden Sachwalter eines jüdischen Kollektivanspruchs an jene Hinterlassenschaften. Dieser Kollektivanspruch ergab sich daraus, als die präzedenzlose Tat eines absoluten Genozids, die Ausrottung ganzer Familienverbände, Fragen der Rechtstitel an dem durch mörderisches Handeln erbenlos gemachten Eigentum der Ermordeten aufwarf. Um dieses Eigentum einzufordern, bedurfte es der Konstruktion eines Kollektivsubjekts, das im Namen der Ermordeten sprechen konnte. Die Rechtskonstruktion des „jüdischen Volkes“ war erforderlich geworden, um die in seinem Namen sprechenden jüdischen Nachfolgeorganisationen in den Stand zu setzen, zu handeln. Als Repräsentant ebenjener kollektiver jüdischer Körperschaften wurde Ferencz gleichsam zum Beauftragten des jüdischen Volkes in Deutschland. Dass er an der Gestaltung des Luxemburger Abkommens von 1952 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem jüdischen Volk, vertreten durch den Staat Israel und die Conference on Jewish Material Claims Against Germany teil hatte, steht für sein Wirken in diesem Bereich.

Gleichwohl erschöpft sich Ferencz’ Selbstverständnis in Rechtsschöpfung und Rechtspflege nicht in der Rolle eines jüdischen Sachwalters. Davon zeugt zunächst sein Engagement für verschiedene Opfergruppen bei der Einforderung von Entschädigungszahlungen für nationalsozialistische Verbrechen, vor allem für die von den Nazis ihren Opfern unter Zwang und Gewalt abgepressten Arbeit. Sein Wirken im Bereich von Strafverfolgung und Prävention künftiger Massenverbrechen kommt im Jahrzehnt nach Ende des Kalten Kriegs zur Geltung, als Ferencz führend an der Initiative zur Begründung des Internationalen Strafgerichtshof zu Den Haag beteiligt war. Dort gilt es Delikte wie Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, wie auch das Verbrechen der Aggression zu verhandeln. Damit schloss sich für Ferencz der Kreis, der mit seinem Auftritt in Nürnberg als Ankläger im Einsatzgruppenprozess 1947 begonnen hatte. Die Strafverfolgung von Massenverbrechen war endgültig universell geworden“.

Dan Diner

Aus dem Vorwort zur Edition einer Auswahl von Dokumenten aus dem Vorlass von Benjamin B. Ferencz:
Kriegsverbrechen, Restitution, Prävention, hrsg. von Constantin Goschler, Marcus Böick und Julia Reus, Archiv jüdischer Geschichte und Kultur, Bd.004, Göttingen 2019

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