Desinformation und Antisemitismus im Kontext des Terrorangriffs der Hamas auf Israel

Ein Interview mit CeMAS-Co-Geschäftsführer Josef Holnburger


Seit dem brutalen Angriff der Hamas auf israelische Zivilistinnen und Zivilisten am 7. Oktober, verbreiten sich zahlreiche Propagandanarrative der palästinensischen Terrororganisationen im Netz befeuert von Algorithmen, die für ein Millionenpublikum sorgen. Unser Partner CeMAS - Center für Monitoring, Analyse und Strategie analysiert diese Trends durch ein systematisches Online-Monitoring von Akteuren, die ein antisemitisches und menschenfeindliches Weltbild verbreiten. Im Interview spricht CeMAS-Co-Geschäftsführer Josef Holnburger über antisemitische und anti-demokratische Narrative, die auf den online Plattformen kursieren und welche Auswirkungen sie in der analogen Welt mit sich bringen.

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Welche Narrative findet man auf den gängigen Social Media & Messenger Plattformen seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober? Welche Akteure verbreiten sie und wie groß ist deren Reichweite?

JH: Seit dem 7. Oktober sind eine Vielzahl an Desinformationen im Umlauf – viele davon auch in Deutschland. Dabei hat sich neben der ohnehin schon problematischen Plattform Telegram, auf der sich ein Großteil des verschwörungsideologischen und rechtsextremen Milieus organisiert, auch der Kurznachrichtendienst X, ehemals Twitter, als ein besonders reichweitenstarker Multiplikator von Desinformation etabliert.

Sehr kurz nach den Terrorangriffen der islamistischen und antisemitischen Hamas kam es beispielsweise aus dem verschwörungsideologischen Milieu zu Falschbehauptungen, dass die israelische Regierung von diesen Angriffen gewusst und sie absichtlich zugelassen hätte. Es wurde also der israelischen Regierung unterstellt, dass sie vermeintliche Mittäter der bestialischen Ermordungen der eigenen Bevölkerung wären. Hier werden tradierte antisemitische Verschwörungserzählungen aufgegriffen – Jüdinnen und Juden wird hier unterstellt, eigentlich selbst Täter zu sein. Leider war diese Entwicklung nicht überraschend, sie zeigt auf, wie groß das Potenzial und die Parallelität von Antisemitismus und Verschwörungserzählungen ist.

Mit hinzu kommen Desinformationen aus Russland – hier wird diese Situation abermals genutzt, um beispielsweise die Solidarität mit der Ukraine zu schwächen: Etwa, indem Desinformationen verbreitet wurden, dass die Hamas Waffenlieferungen aus Israel bekommen hätte – eine Lüge.

Kann man schon jetzt erkennen, welche Konsequenzen das massive „Vermüllen“ der Social-Media-Landschaft mit Desinformation und Antisemitismus auf die analoge Welt hat? Inwieweit korrespondiert digitaler Hass mit einer analogen Gefahr für Betroffene?

JH: Die Auswirkungen von Desinformationen sind sehr massiv, werden aber immer wieder unterschätzt: Jahrzehnte bestehende Einstellungen können sich innerhalb weniger Jahre über Desinformation verändern. Wir sehen dies beispielsweise bezüglich des Vertrauens in Impfungen oder der Legitimität demokratischer Wahlergebnisse.

Gerade im Kontext des terroristischen Angriffs auf Israel ist es nun wichtig, dass der Journalismus sorgfältig seine Quellen und die Behauptungen der Hamas überprüft. Am Beispiel eines vermeintlichen Raketenangriffs auf ein Krankenhaus im Gazastreifen wird das besonders deutlich: hier hatten auch etablierte deutsche Medien die Aussagen der Hamas wiedergegeben, welche sich im Anschluss als Lüge herausstellten – die Desinformation schürte antisemitische Weltbilder, war auf antisemitischen Demonstrationen immer wieder zu hören und führte auch zu Angriffen auf Synagogen.

Auch deshalb braucht es jetzt einen deutlich ausgebauten Schutz jüdischer Einrichtungen – Jüdinnen und Juden sind durch die (u.a. auch bewusst) in den Umlauf gebrachten antisemitischen Desinformationen und Verschwörungserzählungen konkret gefährdet.


Welche Kontinuitäten zu bereits bekannten Narrativen und Akteuren sind erkennbar? Was ist neu? Gibt es Querverbindungen zum Krieg in der Ukraine und russischer Desinformation?

JH: Das verschwörungsideologische und rechtsextreme Milieu konnte sich über die vergangenen Krisen stark vernetzen und professionalisieren. Eigene „Alternativmedien“ konnten dabei massiv ihre Reichweite ausbauen – so zum Beispiel eine Videoplattform des österreichischen Rechtsextremen Stefan Magnet. Bereits zur Coronapandemie verbreitete er antisemitische Chiffren und Codes – mit der Situation seit dem 7. Oktober konnte er nun weiter seine Reichweite ausbauen und wird derzeit zum Takt- und Schlagwortgeber der Szene, etwa indem er diesen Krieg als vermeintlichen Plan eines „Großen Austauschs“ (Great Replacement) markiert – eine rassistische und antisemitische Verschwörungserzählung, welche auch schon 2015 stark verbreitet wurde.

Es gibt deshalb derzeit viele bekannte Akteure, welche die Situation nutzen wollen, um ihre antisemitischen, aber auch rassistischen Vorstellungen verbreiten wollen – etwa, indem sie jetzt Massenabschiebungen fordern oder eben Israel vom Opfer zum Täter machen.

Russische Desinformation wirkt dabei immer mit – die Taktik hier nennt sich „flood the zone with shit“. Je mehr Desinformation in den Umlauf gebracht wird, desto höher ist der mögliche Vertrauensverlust in etablierte und renommierte Medienberichterstattung und generell das Vertrauen in demokratische Institutionen und Regelungen. Die Wahrheit wirkt neben all der Desinformation plötzlich nur noch sehr klein.


Wie unterscheiden sich die Plattformen voneinander, in dem, was gepostet wird? Gibt es überhaupt noch eine Plattform, die gegen Desinformation (über den Konflikt) und Antisemitismus adäquat vorgeht? Gibt es politische Reaktionen oder Sanktionen, die wirken?

JH: Derzeit gibt es zwei Plattformen, welche besonders problematisch sind: X, ehemals Twitter; und Telegram. Bei beiden wurde eine Content-Moderation praktisch abgeschafft oder nie wirklich aufgebaut – bei X, ehemals Twitter, zeigt sich sogar noch ein größeres Problem: Hier können sich Accounts, welche Desinformation verbreiten, mittels 8 US-Dollar im Monat sogar einen Boost verschaffen. Accounts, welche in der Vergangenheit bereits massiv durch die Verbreitung von Desinformationen und anti-demokratischem Gedankengut bekannt wurden, wurden von Elon Musk dabei sogar lobend erwähnt.

Die massive Anzahl an Desinformationen stellt die Plattformen insgesamt gerade vor eine Herausforderung – nicht alle werden dabei ihrer Verantwortung gerecht.

Meta beispielsweise hat aufgrund dieser massiven Zunahme ihre Regelungen verändert – Beiträge werden hier nun zügiger gelöscht, gleichzeitig wurde aber angekündigt, dass gelöschte Beiträge nicht mehr automatisch zu gesperrten Accounts führen. Hier braucht es mehr Kapazitäten in der Content-Moderation, nicht weniger – die Konsequenzlosigkeit der mutwilligen Verbreitung von Desinformation ist derzeit ein falsches Signal.



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