Die Rolle der Wissenschaft in der Demokratie
Podiumsdiskussion beim Falling Walls Science Summit 2025


Projekt

Liberale Demokratien stehen unter Druck: Sinkendes Vertrauen, bewaffnete Konflikte und zunehmende Polarisierung stellen eine Gefahr für unsere offenen Systeme dar. Wie können Wissenschaft und Hochschulen Erkenntnisse liefern, damit Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger diese Herausforderungen angehen und so die Widerstandsfähigkeit der Demokratie stärken können? Dies war die zentrale Frage, die im Rahmen einer Podiumsdiskussion der Alfred Landecker Foundation auf dem diesjährigen Falling Walls Science Summit diskutiert wurde.

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Vom 6. bis 9. November 2025 brachte der Falling Walls Science Summit in Berlin führende Köpfe aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammen, um Wissen auszutauschen und die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu fördern. Die jährliche Wissenschaftsveranstaltung fällt mit dem Jahrestag des Mauerfalls zusammen und soll Debatten darüber anregen, wie Barrieren in Forschung und Innovation überwunden werden können.

Im Rahmen des Summits veranstaltete die Alfred Landecker Foundation am 9. November eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Evidence and Public Discourse: Academia's Role in Democracy”.

Moderiert von unserer Co-CEO Silke Mülherr, nahmen an der Podiumsdiskussion teil: Sudha David-Wilp, Vice-President External Relations und Senior Fellow des German Marshall Fund of the United States, Prof. Andrew Thompson, Professor für globale und imperiale Geschichte und Professional Fellow am Nuffield College der Universität Oxford, sowie Prof. Fabian Klose, Lehrstuhlinhaber für Internationale Geschichte und Friedens- und Konfliktforschung an der Universität zu Köln und Direktor des Cologne Center for Advanced Studies in International History and Law (CHL).

Politische Fragmentierung und Misstrauen der Öffentlichkeit fordern Wissenschaft heraus

Die Podiumsteilnehmenden betonten, dass historische und soziologische Perspektiven wichtiger denn je seien, um die komplexen „Polykrisen” zu verstehen, mit denen die Welt heute konfrontiert ist. Gleichzeitig stellten sie fest, dass der Wert der Geisteswissenschaften zunehmend in Frage gestellt wird und auf beispiellose Skepsis stößt. In einem Informationsumfeld, in dem immer mehr Akteure um die verfügbare Aufmerksamkeit konkurrieren, haben nuancierte, faktenbasierte Argumente oft Schwierigkeiten, sich gegen vereinfachte Schlagworte durchzusetzen, die an Emotionen oder individuelle Standpunkte appellieren. Die Diskussion hob hervor, dass die Wissenschaftsgemeinschaft effektiver mit der breiten Öffentlichkeit kommunizieren muss, um zu zeigen, warum exakte, forschungsbasierte Perspektiven über die Wissenschaft hinaus von Bedeutung sind.

Sudha David-Wilp betonte die wesentliche Rolle der Wissenschaft als unabhängige, unparteiische Erkenntnis- und Wissensquelle. Sie hob hervor, dass insbesondere in einer Zeit, in der jeder leicht als „Partei ergreifend“ wahrgenommen wird, Thinktanks und Universitäten sich bemühen müssen, Vertrauen zurückzugewinnen und ihr Engagement für übergeordnete gesellschaftliche Ziele unter Beweis zustellen. David-Wilp betonte, wie wichtig es ist, dass Führungskräfte von Universitäten und politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger als Brückenbauer fungieren, indem sie aktiv kommunizieren, wie akademische Einrichtungen zu einer evidenzbasierten Entscheidungsfindung in offenen Demokratien beitragen und diese damit der gesamten Gesellschaft zugutekommen.

Raus aus dem Elfenbeinturm und rein in die Gesellschaft

Prof. Fabian Klose legte überzeugend dar, warum insbesondere die Geschichts- und Sozialwissenschaften ihr Wissen selbstbewusster einbringen sollten – ohne sich von denen entmutigen zu lassen, die ihre Relevanz oder ihren Mehrwert in Frage stellen. Er betonte, dass die Wissenschaft nicht nur politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger informieren, sondern auch „aus ihrem Elfenbeinturm herauskommen“ und sich aktiv in der Gesellschaft einbringen muss. Beim Thema Geschichte gehe es nicht nur um die Vergangenheit, sondern vor allem um wichtige Lehren für die Gegenwart und die Zukunft.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten „selbstbewusster in Bezug auf ihre Arbeit und ihren Einfluss auf die Gesellschaft sein“. Gleichzeitig mahnte Klose an, dass sie besonders darauf achten sollten, die wichtige Unterscheidung zwischen meinungsgetriebenem Aktivismus und faktenbasierter Forschung zu wahren. „Heutzutage hat jeder eine Meinung“, argumentierte er. „Aber um etwas zu begründen, braucht man Fakten, um seinen Standpunkt zu belegen und zu untermauern.“

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Den Wert der Wissenschaft in liberalen demokratischen Gesellschaften demonstrieren

Prof. Andrew Thompson forderte die wissenschaftliche Gemeinschaft auf, auf Kontroversen einzugehen, anstatt ihnen auszuweichen: „Freie Meinungsäußerung zu fordern, ist leicht gesagt. Oft ist es jedoch schwieriger, diese auch aktiv zu leben, insbesondere wenn das bedeutet, dass wir respektvoll Meinungen anhören müssen, denen wir nicht zustimmen und die uns manchmal sogar beleidigen könnten. Aber in der Wissenschaft sind wir gerade jetzt verpflichtet, allen Ansichten Gehör zu schenken.“

Mit Blick auf das aktuelle politische Umfeld und die wirtschaftliche Lage warnte er: Es dauere nicht lange, akademische Einrichtungen zu demontieren und ihnen die Finanzierungen zu entziehen, ihr Wiederaufbau hingegen würde lange dauern. Er forderte die Wissenschaft auf, proaktiv „die Initiative zu ergreifen und unseren Wert in liberalen demokratischen Gesellschaften zu verfechten“. Sein Rat an Forschende, die etwas bewirken wollen, lautet, politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger sowie Praktikerinnen und Praktiker frühzeitig in den Forschungsprozess einzubeziehen, anstatt ihnen nur die Endergebnisse zu präsentieren. „Es geht darum, sicherzustellen, dass sich unsere Forschung mit tatsächlichen, realen Herausforderungen befasst, damit unsere Ergebnisse relevant sind und Beachtung finden“, argumentierte Thompson.

Fazit

Die Podiumsteilnehmenden waren sich einig: Damit akademische Forschung relevant ist, muss sie sich streng an Standards halten, darf schwierige Debatten nicht scheuen und sollte ihre Ergebnisse letztlich so kommunizieren, dass sie auch außerhalb der Elfenbeintürme von allen verstanden werden. Gleichzeitig sind sämtliche gründlich recherchierten Erkenntnisse nutzlos, wenn das Publikum, wie Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger sowie alle, die sich für politische Debatten engagieren und interessieren, sich nicht die Zeit und den geistigen Freiraum nehmen, komplexen Argumentationen zu folgen. Um all dies zu erreichen, müssen wir unsere Universitäten und Hochschulen angemessen finanzieren – und ihnen die wertvollsten Ressourcen zuweisen, über die wir heutzutage zu verfügen scheinen, nämlich Zeit und Aufmerksamkeit.

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