In der Ukraine herrscht Krieg, die Lage in Nahost spitzt sich zu und auch hierzulande spüren die Bürger und Bürgerinnen, dass die Stabilität von einst dahin ist. Neue Fragen treten auf, deren Beantwortung die Politik vor schwierige Entscheidungen stellt: Wie viel ist uns die Verteidigung unseres Wohlstands und unserer Sicherheit wert? Haben wir die notwendigen Ressourcen und das passende Wissen, um uns auf die neuen Herausforderungen einstellen zu können?
Genau um diese Fragen ging es am 18. September in Hofheim im Taunus. Die Münchner Sicherheitskonferenz lud die Bevölkerung ein, bei ihrem von der Alfred Landecker Foundation geförderten Format „Zeitenwende on tour“ mit Expertinnen und Experten aus Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Presse über Sicherheitspolitik und ihre gesellschaftlichen Implikationen zu diskutieren.
Das Angebot wurde angenommen, knapp 100 Menschen saßen im Saal und wurden von Christoph Heusgen, dem Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz begrüßt. Er diskutierte unter der Moderation von The Pioneer-Chefkorrespondentin Karina Mössbauer mit Roman Poseck, Innenminister von Hessen, Prof. Dr. Nicole Deitelhoff, Leiterin des Leibniz-Instituts für Friedens- und Konfliktforschung sowie Sven Weidlich, Deskchef der Frankfurter Neuen Presse.
Schon nach 20 Minuten wurde das Mikrofon jedoch in den Saal gereicht, es war Zeit für die Gäste im Publikum, den Experten ihre Fragen zu stellen und Sorgen zu adressieren.
Erkenntnis 1: Die von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufene Zeitenwende ist in den Köpfen der Menschen angekommen.
„Wir spüren doch, dass die Lage ernst ist. Warum ist auf die Rede des Kanzlers so wenig gefolgt, warum diskutieren wir stattdessen so ausgiebig über Belanglosigkeiten?“, lautete die erste Frage aus dem Publikum. Friedens- und Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff lieferte dazu folgende Einschätzung: „Die Regierung verliert den Mut, in polarisierten Zeiten schwierige Themen anzusprechen. Das ist sicher getragen von der Sorge, weitere Stimmen an die politischen Ränder zu verlieren.“
Erkenntnis 2: Hybride Angriffe und Desinformationskampagnen sind längst auch in Deutschland Teil des Alltags geworden.
„Haben die politisch Verantwortlichen bei uns überhaupt das notwendige technische Wissen, um auf diese Attacken reagieren zu können?“, wollte eine Mutter aus dem Publikum von Hessens Innenminister Roman Poseck wissen. Dieser entgegnete: „Die Zunahme hybrider Angriffe bereitet uns Sorge, denn diese wollen unsere politische Stabilität und unsere Widerstandsfähigkeit zerstören – und wir reagieren noch immer nicht schnell und entschlossen genug darauf.“ Gleichzeitig merkte er an, dass immer mehr Ressourcen in Aufklärung und Bildung investiert und Cyber-Abwehrzentren aufgebaut würden.
Erkenntnis 3: Beim Thema faktenbasierte politische Kommunikation auf Social-Media-Plattformen gibt es nach wie vor großen Aufholbedarf.
„Was tun Sie denn, um junge Menschen in meinem Alter nicht an die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht zu verlieren?“, wollte eine Schülerin von Poseck wissen. Sie ergänzte, dass sich ihre Mitschülerinnen und Mitschüler ausschließlich über TikTok informierten – klassische Medien spielten keine Rolle mehr. „Das ist keine leichte Aufgabe für uns“, sagten sowohl Hessens Innenminister als auch Sven Weidlich, Deskchef der Frankfurter Neuen Presse. „Wir haben noch keine guten und überzeugenden Antworten darauf gefunden, wie wir auf TikTok und Instagram an diese Gruppe herankommen, ohne uns lächerlich zu machen“, gestand Poseck ein. Er betonte, dass die Politik aktiver werden müsse auf den einschlägigen Social-Media-Kanälen, um der Flut an Falschinformationen und gezielter Desinformation zu begegnen. Auf die Forderung eines älteren Herrens aus dem Publikum, „diese Plattformen einfach zu verbieten“, reagierte die Schülerin mit einem ungläubigen Lächeln.
Erkenntnis 4: Demokratien sind behäbig, aber leistungsfähiger und friedlicher.
Ein anderer Gast aus dem Publikum fragte, ob Demokratie inzwischen zum Wettbewerbsnachteil geworden sei in der Auseinandersetzung mit autokratischen Systemen. „Natürlich merken alle, dass Diskussionen und Entscheidungen bei uns zähe Prozesse sind – und die ausgehandelten Kompromisse häufig viele unzufrieden zurücklassen“, räumte Christoph Heusgen, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, ein. Zugleich gab er zu bedenken, wer denn in einer Autokratie leben und sich dort eine abweichende Meinung leisten wolle. Nicole Deitelhoff ergänzte, dass die Forschungslage eindeutig sei: Demokratien seien auf Dauer volkswirtschaftlich leistungsfähiger und führten seltener Krieg.
Mehr zu unserer Kooperation mit der Münchner Sicherheitskonferenz gibt es hier.