„Die Nazis waren ja nicht einfach weg“
Dr. Mathias Rösch über Erinnerung, Verdrängung und die Perspektiven junger Menschen


Mit der Ausstellung „Die Nazis waren ja nicht einfach weg“ geht das Schulmuseum Nürnberg gemeinsam mit Schülerinnen und Schüler der Frage nach, wie die deutsche Gesellschaft nach 1945 mit ihrer NS-Vergangenheit umgegangen ist. Im Zentrum steht die Perspektive junger Menschen: Die Ausstellung zeigt, wie sie den gesellschaftlichen Umgang mit den NS-Verbrechen wahrnehmen. Schwerpunkte der Ausstellung sind unter anderem das Schweigen nach Kriegsende zur Mitverantwortung der deutschen Bevölkerung, die Strafverfolgung der NS-Verbrechen, der Umgang mit den Überlebenden der NS-Verfolgung und der Kampf um Gedenkstätten.

Dr. Mathias Rösch; Photo credit: Manuela Seeger

Footnotes
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Im Interview spricht Dr. Mathias Rösch, Kurator und Leiter des Schulmuseums, über die Bedeutung verschiedener Perspektiven bei der Konzeption der Ausstellung, und erklärt, warum gerade die Sichtweisen Jugendlicher neue Impulse in die Erinnerungskultur bringen können.


Wie ist die Idee zur Ausstellung „Die Nazis waren ja nicht einfach weg“ entstanden?

Matthias Rösch: In der pädagogischen Arbeit des Museums war das zunehmende und Schularten-übergreifende Interesse von Jugendlichen am Umgang mit dem Nationalsozialismus nach 1945 seit Jahrzehnten greifbar. Der wachsende Rechtsextremismus und Rechtspopulismus wie auch die sich allmählich verändernde Erinnerungskultur in Deutschland lieferten weitere Anlässe über ein Ausstellungsvorhaben nachzudenken, dass sich besonders an junge Menschen richtet. Den letzten Anstoß gaben dann die Vorbereitungen zu unserer Ausstellung über die Schüler-Revolte in Westdeutschland in den 1960er Jahren. In den über 20 vorbereitenden Zeitzeugen Interviews waren permanent die innerfamiliären und innerschulischen Auseinandersetzungen nach 1945 um die NS-Vergangenheit greifbar – insbesondere die seelischen Belastungen.


Was macht die Ausstellung so einzigartig, was unterscheidet sie von anderen zum Thema Nationalsozialismus und Nachkriegszeit?

MR: Die Ausstellung will v.a. Jugendliche – jeder sozialen und kulturellen Herkunft – erreichen. Entsprechend stellt sie zwei Perspektiven in den Mittelpunkt: Die der zeitgenössischen Jugendlichen nach 1945 (die Großeltern und Eltern der Zielgruppe) und die der Überlebenden der Verfolgung in den unterschiedlichen deutsch-besetzten Gebieten (Zugänge für Menschen mit Migrationshintergrund). Ferner setzt sie auf die Quellengattung Schulobjekte und auf großflächige Illustrationen.

Und schließlich zeigt die Ausstellung, wie massiv und wie lange die NS-Verbrechen die Gesellschaft, und insbesondere die Überlebenden der Verfolgung und deren Nachkommen sowie die Nachkommen der Täter und Mitläufer weit über 1945 hinaus belastet. All dies lässt auf eindrückliche Weise die Monströsität der NS-Diktatur greifbar werden – und zugleich auch die Bedeutung eines offenen, kritisch-reflektierenden Umgangs mit der NS-Vergangenheit.


Gab es bei der Konzeption oder Umsetzung besondere Herausforderungen? Wenn ja, welche und wie wurden sie gelöst?

MR: Herausfordernd war vor allem die Komplexität: Wie stellt man die sehr unterschiedliche Entwicklungen in der DDR und BRD dar, differenziert dabei die Perspektiven von Politik, Gesellschaft und Familien sowie von Opfergruppen und Tätern – und integriert schließlich auch noch die Perspektive zeitgenössischer Jugendlichen? Und dies alles auf 200 Quadratmeter Fläche.

Bei der Suche nach für Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen wirksamen Zugängen boten die in Ausstellungen eher selten genutzten Schulobjekte einen Ausweg. Schwieriger war es, Objekte zu finden, die z.B. das „Verschweigen“ darstellen. Ohnehin scheint die Mehrzahl der Familien im Verlauf von acht Jahrzehnten nahezu alle Dokumente innerfamiliärer Erinnerungskultur entsorgt zu haben.


Welche Rolle spielten die Schülerinnen und Schüler konkret bei der Entwicklung der Ausstellung?

MR: Die Ausstellung ist eine Produktion des Schulmuseums Nürnberg der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg und der FAU-Stabsstelle Sammlungen und Museen. Sie wurde gemeinsam mit SchülerInnen aus vier Bundesländern entwickelt – darunter auch das Kant-Gymnasium in Berlin-Spandau – und richtet sich insbesondere an junge Menschen.

Die Jugendlichen haben die meisten Themen und einen Großteil der Objekte ausgewählt. In den gemeinsamen Entwicklungsworkshops entstanden zudem auch zentrale Fragestellungen und wichtige Hinweise zur Präsentation.


Was haben Sie durch die Perspektive der Jugendlichen über den Umgang mit Geschichte und Erinnerung gelernt?

MR: Ein besonderer Gewinn waren die von den Jugendlichen eingebrachten Fragestellungen und manchmal auch die Provokationen. Ein Beispiel: Wiederholt stellten Jugendliche in den Workshops die These in den Raum, dass die NS-Täter nach 1945 doch eher „harmlos“ gewesen wären. Man hätte sie also eigentlich nicht „wegsperren“ müssen. Diese Frage hat das Ausstellungsteam dazu veranlasst, das Wirken der NS-Täter nach 1945 noch einmal differenzierter zu thematisieren.


Was wünschen Sie sich, dass Besucherinnen und Besucher nach dem Besuch der Ausstellung mitnehmen?

MR: Dass sie verstehen, welches positive Potenzial in einem offenen, kritisch-reflektierenden Umgang mit der NS-Vergangenheit steckt: Ein solcher Umgang trägt eher seltener zur Überforderung von Familien bei, sondern kann die innerfamiliären Beziehungen erheblich fördern, insbesondere den achtsamen Umgang miteinander. Ähnlich kann ein solcher Umgang die Haltung gegenüber Menschenrechten und das Verantwortungsgefühl gegenüber unserer Demokratie anhaltend stärken.



Vom 2. Juli 2025 bis zum 11. Januar 2026 ist die Wanderausstellung im Dokumentationszentrum Topographie des Terrors in Berlin zu sehen. Die nächsten Ausstellungsorte der Wanderausstellung sind das Museum für Kommunikation in Frankfurt am Main im Januar 2026 und das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg im Herbst 2026.

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