
Während der NS-Herrschaft setzten die Nationalsozialisten die Staatsangehörigkeit als Instrument zur Ein- und Ausgrenzung in einem noch nie dagewesenen Ausmaß ein. Hunderttausende von Menschen sowie politische Gegner wurden ihrer deutschen Staatsangehörigkeit beraubt und staatenlos gemacht. Die Nationalsozialisten änderten auch die Einbürgerungsverfahren und führten rassistische und eugenische Kriterien ein. Die Folgen dieser Maßnahmen waren auch nach dem Ende des NS-Regimes und der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1949 noch zu spüren.
Landecker Lecturer Dr. Nicholas Courtman beschäftigt sich in seiner Forschung mit den Kontinuitäten dieser Zeit sowie mit den nach 1949 in der Bundesrepublik Deutschland eingeführten Einbürgerungsgesetzen.
Anlässlich des vierten Jahrestages der Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes (§ 15 StAG) haben wir mit Dr. Courtman gesprochen. Die 2021 in Kraft getretene Reform ermöglicht es Opfern nationalsozialistischer Verfolgung, denen die deutsche Staatsangehörigkeit gewaltsam entzogen wurde, sowie deren Nachkommen, unter erleichterten Bedingungen wieder eingebürgert zu werden – ein wichtiger Schritt zur rechtlichen Anerkennung.
Im Interview erklärt Dr. Nicholas Courtman, wie veraltete Rechtskategorien, mangelnde historische Sensibilität und unzureichende Ressourcen die Umsetzung der Novelle beeinträchtigt haben.
Vier Jahre nach der Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes – wie fällt Ihre Bilanz aus?
Als das Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) 2021 reformiert wurde, war meine emotionale Reaktion eher gemischter Natur. Anfangs fühlte ich mich überglücklich, dass die Bundesregierung das Einbürgerungsrecht auf so viele Nachkommen derjenigen Gruppen ausweitet, die durch das NS-Regime verfolgt und staatsbürgerlich ungerecht behandelt oder diskriminiert wurden. Die Vorfahren dieser Menschen, die die Verfolgung und Diskriminierung am eigenen Leib erfahren haben, besaßen in vielen Fällen nie einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung oder auf eine privilegierte Behandlung im Rahmen der Rechtsordnung der Bundesrepublik.
Bei meinen Recherchen in Archiven in ganz Deutschland während meines Landecker Lecturer Research Fellowship habe ich viele Fälle gefunden, in denen diese Personen nach 1945 versucht haben, die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen, sie ihnen jedoch verweigert wurde. Eines der Beispiele bezieht sich auf die Akte einer deutschsprachigen Sintiza aus dem Sudetenland, die 1938 von der Masseneinbürgerung der Sudetendeutschen aufgrund ihres „artfremden Blutes“ ausgeschlossen worden war. Als sie sich 1952 in Hannover um die Anerkennung als deutsche Staatsbürgerin bemühte, teilte ihr die Behörde mit, dass sie wegen ihres „artfremden Blutes“ nicht in die Masseneinbürgerung aus dem Jahr 1938 einbezogen worden sei und eine Einbürgerung nach dem Nachkriegsrecht nicht in Frage komme, weil sie Analphabetin sei und daher die „kulturellen Voraussetzungen“ für eine Einbürgerung nicht erfüllen würde. Die Reform 2021 räumt den Nachkommen dieser Frau ein Recht auf die deutsche Staatsbürgerschaft ein, sofern sie diese nicht bereits besitzen, und immer noch erlangen wollten. Es deprimiert mich nach wie vor, dass diese Gesetzesreform für die Frau selbst viel zu spät kam.
Seit der Verabschiedung der Reform habe ich nur noch selten und gelegentlich Kontakt zu Nachkommen, die Anträge über den neuen § 15 des StAG stellen. Aus Gesprächen mit Kollegen, die direkter mit der Unterstützung von Antragstellern im Verfahren befasst sind, habe ich von einigen bedenklichen Problemen in Bezug auf die Auslegung der einschlägigen Rechtsvorschriften durch das Bundesverwaltungsamt (BVA) erfahren. Dazu gehörten die Versuche, Nachkommen von jüdischen oder Sinti-Deutschen aus sogenannten „Umsiedlungsgebieten“ einen Anspruch auf Einbürgerung nach § 15 StAG abzusprechen sowie die Verweigerung dieses Rechts für Personen, die von zwangsausgebürgerten ehemaligen deutschen Staatsangehörigen nach Art. 116(2) Grundgesetz adoptiert worden waren. Beide Auffassungen werden durch das BVA jedoch nach meinen Informationen inzwischen nicht mehr zur Anwendung gebracht.
Als Historiker hatte ich in den letzten Jahren das Privileg, mich intensiver mit der Verwaltung der Staatsangehörigkeit und der Einbürgerung sowohl in der Bundesrepublik als auch in der NS-Zeit zu befassen. Ich würde dafür plädieren, dass ein wichtiger zukünftiger Schritt bei der Anwendung und Auslegung des § 15 StAG darin bestehen sollte, sich mit der Frage zu befassen, inwiefern diese Bestimmung mit Formen der Ausgrenzung und Diskriminierung in Bezug auf die Staatsangehörigkeit im Nationalsozialismus zusammenhängt. Diese Formen werden in der Geschichtsforschung bisher noch kaum verstanden.
In der Zeit des Nationalsozialismus führten die Einbürgerungsbehörden eugenische und rassenhygienische Begutachtungsverfahren mit dem Ziel in das Einbürgerungsverfahren ein, um „genetisch Minderwertige“ von der Einbürgerung auszuschließen. Dies betraf nicht nur Juden sowie Sinti und Roma, sondern auch alle anderen Personen „nicht-europäischen Blutes“ und Personen, die als Träger von „Erbschäden“ oder Behinderungen angesehen wurden. Die Existenz dieser Vorschriften, die durch untergesetzliche Änderungen unveröffentlichter Verwaltungsrichtlinien zustande kamen, ist selbst den meisten Historikern, die in Deutschland zur Staatsbürgerschaft forschen, unbekannt, ganz zu schweigen von dem Großteil der heutigen Staatsbediensteten, die für den Umgang mit dem Recht zuständig sind.
Das Erbe dieser Regelungen spricht dafür, dass § 15 StAG auch für die Nachkommen von Menschen gelten sollte, die aus rassischen oder ableistischen Gründen von der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen waren – zum Beispiel Schwarze oder andere rassifizierte People of Colour, die vor 1933 ohne Staatsbürgerschaft auf deutschem Gebiet lebten sowie Menschen mit Behinderungen und deren Nachkommen.
Welche Bedeutung hat die Gesetzesreform für die Betroffenen?
Diese Frage wird von Nachkommen zu Nachkommen unterschiedlich beantwortet werden. Viele sehen die Einbürgerung unter ganz praktischen Gesichtspunkten, konzentrieren sich auf die Chancen und Möglichkeiten, die ein europäischer Pass mit sich bringt, und werden diese Aspekte gegenüber tiefer empfundenen Fragen bezüglich der Identifizierung mit Deutschland oder als Deutsche in den Vordergrund stellen. Viele andere hingegen sehen in der Ausweitung des Einbürgerungsrechts durch die deutsche Regierung eine wichtige Geste der Anerkennung für das Leid, das der deutsche Staat ihren Vorfahren zugefügt hat. Manche interpretieren das Einbürgerungsrecht vielleicht sogar als einen Schritt zur Versöhnung zwischen ihnen und dem deutschen Staat an.
Ich kann sagen, dass viele Nachkommen, die nun aufgrund der Reform von 2021 ein Recht auf Einbürgerung haben und zuvor ausgeschlossen waren, sich nicht ganz bewusst sind, dass sie zuvor ausgeschlossen waren und dass ein Kampf notwendig war, um die aktuelle Gesetzesreform zu erreichen oder dass es bereits im ersten Jahrzehnt des Bestehens der BRD frühe Forderungen nach der Gewährung dieser Rechte gab. Wer mehr darüber erfahren möchte, wie dies in Bezug auf die Forderungen insbesondere jüdischer Gruppen gehandhabt wurde, dem kann ich das Online-Video eines Vortrags empfehlen, den ich Ende März dieses Jahres am Leo Baeck Institute in London gehalten habe.
Was sind die größten Probleme bei der Umsetzung des Gesetzes?
Einige anfängliche Probleme ergaben sich daraus, wie das BVA das Gesetz auslegt hat.
Es gab zudem einige Probleme, die sich aus der Schwierigkeit ergaben, die Rechtskategorien einer früheren Zeit rückwirkend anzuwenden: Für Nachkommen jüdischer Angehöriger deutscher Minderheiten, die massenhaft eingebürgert oder umgesiedelt wurden, muss nachgewiesen werden, dass sich ihre Vorfahren als Angehörige des deutschen Volkes verstanden haben. Auf Deutsch heißt es: „…sie müssen sich zum deutschen Volkstum bekannt haben…“. Die einschlägige Nachkriegsvorschrift, § 6 des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz – BVFG), wurde von westdeutschen Gerichten lange Zeit so ausgelegt, dass eine eindeutige und singuläre nationale Identifikation erforderlich war. Personen, die möglicherweise mehrere, nebeneinander bestehende nationale Identitäten oder Zugehörigkeiten hatten, lassen sich nur schwer in den immer noch geltenden Rechtsrahmen einordnen. Dies hat zu Problemen bei der Einbürgerung von Nachkommen deutschsprachiger Juden aus den genannten Regionen geführt, insbesondere wenn ihre Vorfahren zu Hause auch Jiddisch gesprochen haben. In einigen Fällen stellten die Mitarbeiter des BVA in Frage, ob sich diese Vorfahren wirklich als Teil des deutschen Volkes oder eher als Teil des jüdischen Volkes identifizierten. Mir wurde jedoch mitgeteilt, dass solche Aussagen als problematisch eingestuft wurden und hoffentlich nicht mehr auftauchen.
Abgesehen davon dürfte auf einer viel banaleren Ebene ein großes Problem bei der Umsetzung darin bestehen, dass es für die Nachkommen schwierig ist, die erforderlichen Unterlagen überhaupt zu finden. Viele der Nachkommen können weder Deutsch sprechen noch lesen, geschweige denn eine der anderen europäischen Sprachen, die notwendig sind, um mit den Archiven zu kommunizieren, in denen sich die Dokumente über ihre Vorfahren befinden könnten (die beispielsweise tschechisch, polnisch oder lettisch sein könnten). Dies bedeutet für die Sachbearbeiter des BVA, die schon jetzt, aber vor allem seit dem 7. Oktober, eine große Zahl von Anträgen bearbeiten und versuchen müssen, die erforderlichen Unterlagen zu finden, sehr viel zusätzliche Arbeit.
Ich habe gehört, dass es große Unterschiede zwischen den einzelnen Sachbearbeitern gibt, was den Umfang der zusätzlichen Arbeit angeht, die sie zu leisten bereit oder in der Lage zu stemmen sind, um einzelne Antragsteller bei der Beschaffung oder Sicherung solcher Unterlagen zu unterstützen. Man könnte meinen, dass sie den Antragstellern bei der Beschaffung der einschlägigen Unterlagen helfen, insbesondere in einfacheren Fällen. Ein solch unkomplizierter Fall wäre der Antrag des Enkelkindes einer deutschen Jüdin, die 1937 einen ausländischen Mann heiratete und dadurch ihre deutsche Staatsangehörigkeit verlor. In diesem Fall bräuchte das BVA nur Dokumente, die belegen, dass die Großmutter deutsche Staatsbürgerin war, dass sie vom NS-Regime als Jüdin eingestuft wurde sowie eine Kopie ihrer Heiratsurkunde, zusammen mit den Geburts- und Heiratsurkunden der Eltern des Antragstellers sowie der Geburtsurkunde des Antragstellers selbst. Die Suche nach einigen dieser Dokumente in den einschlägigen deutschen Archiven sollte keine allzu große Herausforderung darstellen.
Anders sieht es jedoch aus, wenn man bedenkt, dass viele der in den neuen § 15 StAG aufgenommenen Fälle den Sachbearbeitern viel abverlangen, nämlich ein tiefes und detailliertes Verständnis der verschiedenen Aspekte der nationalsozialistischen Staatsangehörigkeits- und Einbürgerungspolitik im gesamten besetzten und annektierten Europa. Themen, die schon für die meisten Fachhistoriker und Juristen nur schwer zu begreifen sind. Die meisten Sachbearbeiter des BVA verfügen weder über einen solchen fachlichen Hintergrund, noch zahlt das BVA ihnen das Gehalt, das eine solche fachliche Qualifikation erfordern würde.
Warum braucht das Bundesverwaltungsamt so lange, um die Anträge zu bearbeiten?
Ich gehe davon aus, dass das größtenteils mit der Komplexität vieler Einzelfälle zu tun hat, mit dem Mangel an ausreichenden Unterlagen. Der wohl wichtigste Faktor ist aber im Moment die personelle Unterbesetzung, vor allem angesichts des astronomischen Anstiegs der Antragszahlen seit dem 7. Oktober, und ich kann davon ausgehen, dass wir einen Anstieg der Antragszahlen aus anderen Teilen der Welt, vor allem aus den USA, erleben werden, wenn wir ihn nicht schon erlebt haben (das BVA hat seit der amerikanischen Wahl im November 2024 bzw. seit Trumps Machtübernahme keine Angaben zu den Antragszahlen gemacht).
Was bedeutet das für die Menschen, die auf ihre deutsche Staatsbürgerschaft warten?
Für viele bedeutet es Frustration, das Aufschieben wichtiger Lebenspläne, wahrscheinlich auch Ressentiments und Wut gegenüber dem deutschen Staat, weil er so lange braucht, um etwas zu gewähren, was er im Geiste der Wiedergutmachung versprochen hatte. Solche Verzögerungen werden wahrscheinlich von denjenigen als besonders enttäuschend erlebt, die direkte Opfer der NS-Verfolgung waren und die Entscheidung getroffen haben, die deutsche Staatsbürgerschaft (wieder) zu erwerben.
Was muss geschehen, um eine bessere Umsetzung des Gesetzes zu gewährleisten?
Einen der wichtigsten Schritte zur besseren Umsetzung des Gesetzes hat die Bundesregierung meines Wissens bereits vor einigen Monaten unternommen, indem sie zahlreiche neue Mitarbeitende in speziellen Arbeitsgruppen eingestellt hat, die sich um die Bearbeitung des Antragsstaus und die Bewältigung des enormen Aufkommens von Neuanträgen kümmern. Dieser Schritt der Regierung – die Bereitstellung von Haushaltsmitteln für die Einstellung einer ausreichenden Anzahl von Sachbearbeitern, um mit der Zahl der Anträge Schritt zu halten – ist äußerst begrüßenswert und wichtig.
Solange ich noch auf die internen Dokumente des BVA über die Auslegung und Anwendung der einschlägigen Rechtsvorschriften (Art. 116 Abs. 2 GG und § 15 StAG) warte, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ob es Verbesserungen bei den Schulungsunterlagen geben könnte, die den Sachbearbeitern zur Verfügung gestellt werden. Es würde mich allerdings nicht wundern, wenn es Unklarheiten darüber gäbe, welche Gruppen unter der NS-Herrschaft welchen Ausgrenzungs- und Diskriminierungsmaßnahmen unterworfen waren und welche Gruppen von Nachkommen und Einzelpersonen nach dem neuen Recht einen Anspruch auf Einbürgerung haben. In diesem Punkt wäre es sinnvoll, wenn das BVA mit Wissenschaftlern mit einschlägiger historischer und juristischer Expertise zusammenarbeiten würde, um Fortbildungen oder erläuternde Dokumente bereitzustellen.